Nach einem feuchtfröhlichen Abend in geselliger Runde kann einem unter Umständen am nächsten Morgen den bekannten Spruch „nah, zu tief ins Glas geschaut?“ einbringen.
Jedoch lohnt sich tatsächlich einmal “tiefer ins Glas zu schauen“! Was habe ich da eigentlich vor mir und ist es überhaupt das richtige Glas für meine Ansprüche beim Whiskygenuss?
Denn die richtige Wahl von Glas und entsprechenden Whisky ist entscheidend für ein positives Geschmackserlebnis.
Das Glas „Glencairn“
In der langen und illustren Geschichte des Whiskys gab es nie das eine Glas, dass die Whisky-Welt ihr Eigen nennen durfte. Champagner, Wein, Brandy, Grappa und Bier konnten alle ihre eigenen Glasstile vorweisen.
Doch Whisky, die komplexeste Spirituose der Welt, konnte in jedem alten Gefäß serviert werden. Wahrlich keine adäquate Wertschätzung des "uisge-beatha" (gespr. ui-sca-baist, gälisch für "Wasser des Lebens").
In den 1990er Jahren nahm es Raymond Davidson, Designer und Gründer der schottischen Firma „Glencairn Crystal“ somit auf sich, das Problem anzugehen und begann ein Glas speziell für die Verkostung von Whisky zu entwickeln. Er hatte ein Glas im Sinn, ähnlich dem Copita.
Das „Glencairn Copita“ ist das Vorgängermodell des originalen“ Glencairn Glases“. Whiskyhersteller auf der ganzen Welt kosten daraus ihren Whisky, meist nur mit der Nase, um zur perfekten Mischung zu gelangen. Aus diesem Glas lässt es sich sehr angenehm trinken und es bietet mehr Platz eben für die Nase. Im 17. und 18. Jahrhundert war das Glas auch als Hafenglas bekannt. Wenn der neue Whiskyvorrat im Hafen ankam, wurde die Qualität umgehend mit dem Copita getestet.
Davidson suchte somit nach einer einzigartigen Form, dass dem Genießer den vollen Körper durch Riechen und Schmecken ermöglicht und gleichzeitig robust für den Bargebrauch ist
.
So wurde das „Glencairn Glas“ geboren und ist in der Whisky-Szene nicht mehr wegzudenken.
Das Design
Dieses speziell für Whisky entwickelte Glas hat eine tulpenförmige Form, was bedeutet, dass es an der Basis breiter ist und sich nach oben hin verjüngt. Diese Form hilft, die Aromen zu konzentrieren und zu verstärken, sodass man die verschiedenen Duftnuancen und subtileren Noten von Vanille, Rauch, Früchten oder Gewürzen besser wahrnehmen kann. Die tulpenförmige Form hilft auch bei der visuellen Wahrnehmung zur Beurteilung von Farbe, Alter, Fass-Typ oder andere Faktoren, die zum Geschmacksprofil beitragen.
In der Haptik ist es dickwandig und stabil, was es angenehm in der Hand macht und gleichzeitig die Temperatur des Whiskys länger hält. Die ideale Größe ermöglicht es, eine angemessene Menge Whisky zu servieren (bis 4 cl), ohne dass er schnell verfliegt oder zu viel Luftkontakt hat.
Beim Genuss spielt die Ästhetik auch eine Rolle, so hat das „Glencairn Glas“ ein elegantes Design, das es zu einer beliebten Wahl für Whisky-Liebhaber und bei Verkostungen macht.
Die Sensorik
Der sich verjüngende Mund des Glases fängt und konzentriert alle Aromen für die Nase ein, was die Wahrnehmung von subtilen Noten wie Vanille, Rauch, Früchten oder Gewürzen ermöglicht. Durch das Schwenken des bauchigen Glaskörpers kann die Textur, Viskosität und die Form der am Glasrand herablaufenden Tropfen des Whiskys erlebbar werden. Ein Indikator für den Alkoholgehalt und Mundgefühl. Das Schwenken sollte aber nicht übertrieben werden, da sonst übermäßig der im Whisky enthaltene Alkohol aufsteigt und die Riechprobe zunichtemacht.
Das Glas fügt sich bequem in die Hand und lässt den Whisky im Laufe der Zeit entwickeln, wodurch neue Schichten von Geschmack und Aroma ergeben werden. Das resultiert auch durch die Handwärme und dem Einfluss des Sauerstoffs, da der Whisky mehrere Minuten vor die ersten Schlucke „atmen“ sollte. Die Faustregel hierbei lautet das Alter des Whiskys in Minuten, jedoch mindestes 5 min.
Die Verkostung eines Whisky ist eine Kunst für sich. Der erste Schluck bringt einen ersten Eindruck der geschmacklichen Beschaffenheit zu Tage. Dieser kann aufgrund der „trockenen Zunge“ noch scharf und alkoholisch wirken. Nachdem sich die Geschmacksrezeptoren an den Whisky gewöhnt haben, bietet der zweite Schluck gleich umso mehr ein aromatisches Feuerwerk, bis hin zum Abgang. Die Sensorik aus riechen und schmecken bietet dabei eine reichhaltige Palette an typischen Whiskyaromen und derer geschmacklichen Herkunft. So können durch eine Verkostung auf die eingesetzten Elemente, Rohstoffe und Terroir Rückschlüsse gezogen werden.
Aufschlüsse gibt das Destillat über das eingesetzte Getreide, durch welches Gestein oder Flora und Fauna das Wasser floss, ob Torf und Rauch zum Einsatz kamen, wie lange die Gärung vollzogen wurde, welche Eichenfässer genutzt wurden und ob Wind und das Meer eine Rolle spielten.
Das Hinzufügen von paar Tropfen Wassers kann den Whisky öffnen und seine versteckten Aromen freisetzen und damit experimentierfreudig zu sein ist keinesfalls verkehrt.
Das „Glencairn-Glas“ ist vielseitig genug, um die Stärken von sowohl fassstarken als auch „verwässerten“ Whiskys freizusetzen, so dass man die sprichwörtliche Magie des Spirits genießen kann.
©PEAKFEIN